Kapitel vier
Noch erstickte ich ihn in meiner Umarmung und überschüttete ihn mit mütterlichen Liebkosungen, der Augenblick war viel zu grotesk: Hatte sich doch mein Liebhaber (und Schauspielkollege) durch eine unerwartete Wendung des Schicksals als mein verloren geglaubter, von einem Menschenvater gezeugter Sohn entpuppt. Nicht eben eine alltägliche Familienzusammenführung. Wir waren beide derart überwältigt, daß ich mich selbst heute nicht entsinnen kann, wer zuerst in wessen Arme sank, aber so geschah es natürlich, und ich brachte es nur fertig, mich von ihm zu trennen, weil zwei IBMs die Stallungen nach mir durchsuchten. Man hatte mich gerufen, und ich war nicht erschienen. Es gelang mir, unbemerkt in den Duschraum zu schlüpfen, in Windeseile Kostüm und Maske hinter mich zu bringen und unauffällig meinen Platz einzunehmen. Glück gehabt. Doch der Schrecken über die Beinahe-Katastrophe war nicht groß genug, um zu verhindern, daß ich mich während der Aufnahmen in Gedanken mit meinem wiedergefundenen Sohn beschäftigte, insbesondere mit seiner Lebensgeschichte, die er mir atemlos erzählt hatte und die ohne weiteres noch ein Buch füllen würde. Nur soviel: Nachdem der Container aus der Reichweite seines Vaters entschwunden war, wurde er einige Stunden später von einem Glasbodenboot aufgefischt (eine Annehmlichkeit für Touristen, die das feuchte Grab des alten Los Angeles besichtigen wollten) und von dem Kapitän unter der Hand für einen stattlichen Profit an ein japanisches Ehepaar verkauft, das auf den Inseln Urlaub machte und dessen Interesse an einer solchen Kuriosität ihrer Fähigkeit entsprach, in hartem Melamin dafür zu bezahlen. Junior verlebte zwei Jahre in ihrer Heimat, wuchs heran und wurde darauf programmiert, im Haus als Butler zu fungieren und außerhalb als Leibwächter, so daß seine Gebieter ihren ›Yanksemi‹ den Nachbarn vorführen konnten, denn aufgrund der damaligen strikten Importbeschränkungen waren Einheiten aus westlicher Fabrikation äußerst rar. Mit ihrer Prahlerei lenkten sie allerdings größeres Interesse auf die Kaufmodalitäten, als ihnen lieb war; sie mußten befürchten, die Aufmerksamkeit der AÜ zu erregen. Aus diesem Grund verhökerten sie Junior bei einem Besuch in Hollymoon mit beträchtlichem Verlust an den bereits erwähnten Gebrauchtandroidenhändler. Danach wurde er an Stellar Entertainments verkauft und entwickelte sich – wie allgemein bekannt – binnen kürzester Zeit zu einem besonders hellen Licht in ihrem Pantheon.
Was mich aber so in Aufregung versetzte, daß ich mein Stichwort verpaßte und mir eine Rüge einhandelte, war die freudige Erkenntnis, daß er nicht einmal von Rehabilitation gesprochen hatte. Deshalb war er mit ziemlicher Sicherheit weder mit einem Internen Zensor ausgestattet – das erklärte seine Fähigkeit zu selbständigem Denken – noch jemals sterilisiert worden. Damit verschwanden auch meine letzten Zweifel bezüglich der Symptome, die sich seit unserer letzten Sitzung – deren amouröse Einleitung besonders leidenschaftlich ausgefallen war – bemerkbar machten. Ich erlebte eine unverwechselbare Renaissance der Übelkeit, Abgeschlagenheit und Hungergefühle, unter denen ich im Kloster gelitten hatte. Ich war überglücklich, doch auch erschüttert von einer zweiten Erkenntnis im Gefolge der ersten: Ich ging mit meinem eigenen Enkelkind schwanger!
Später, in den Stallungen, als ich dem stolzen Vater die Neuigkeit mitteilte, leugnete er jede Verbindung des Kindes mit unserer – wie er sich ausdrückte – früheren Androidenexistenz. Hätte ich ihn nicht geliebt, wäre mir der Kragen geplatzt, denn ich mußte einsehen, daß er nach all meinen therapeutischen Bemühungen noch unbeirrbarer an seiner Überzeugung festhielt, wir seien zwar einst Androiden gewesen, aber seither zum menschlichen Ende des Spektrums aufgestiegen. Sogar mein Bericht von den Opfern seines Vater konnte ihn nicht davon abbringen, noch schenkte er meinen Worten Glauben, daß Tad senior sich auf dem Mond aufhielt, vielleicht sogar ganz in der Nähe, in Armstrong, und wir nur etwas Unternehmungsgeist brauchten und Glück, um von hier zu fliehen und ihn zu finden. »Sei nicht albern«, tadelte er mich. »Ich habe es doch schon erklärt, er gehört zu einer vergangenen Existenz, in der ich Tahjuna war und du meine Androidenmutter.«
Also wiederholte ich es noch einmal, klipp und klar: Tad ist sein Vater, ich bin seine Mutter und Geliebte, unser Kind wird sein Halbbruder oder seine Halbschwester sein, und dieses Leben ist das einzige Leben, dessen er sich jemals halbwegs sicher sein kann, und je eher er das akzeptiert, desto besser, denn wenn sich nicht bald etwas ändert, wird er eine Marionette bleiben, verblendet von einer absurden Philosophie, die sich von den Nebenwirkungen der Programme nährt und ihn ebenso zum Sklaven erniedrigt, wie es damals Eva mit ihrem Dip ergangen ist, woraus sich – traurig genug – ersehen läßt, daß selbst P9 gegen solche Abhängigkeiten nicht gefeit sind.
Seine Reaktion auf diesen leidenschaftlichen Ausbruch? »Wer ist Eva?«
Mit all der Geduld und Liebe, zu der nur eine Mutter fähig ist, erwiderte ich, daß sie eine Unglückliche gewesen war, die dank meines Eingreifens zu großen Höhen aufstieg; ich verglich den Luxus unseres Hauses in Malibu mit den Wonnen seiner höheren Sphären. Doch er ließ sich nicht verführen: Die Reichtümer des Paradieses seien weit größer, mahnte er, und ich wäre gut beraten, danach zu streben, wollte ich nicht wieder zu einer Existenz als P9 verdammt werden. »Aber Junior«, sagte ich, unfähig, meine wachsende Verzweiflung zu verbergen, »ich bin ein P9.« – »Du warst es«, beharrte er. – »Und du bist ein Semi.« – »War!« – »Und unser Kind wird ein Semi sein.« – »Wie kannst du, eine Mutter, so etwas von deinem eigenen Fleisch und Blut behaupten? Ich liebe dich von Herzen, Candida, aber ich fürchte, du bist ernsthaft verwirrt. Das Kind wird ein Mensch. Verlaß dich darauf.« – »Ja, ein Teil Mensch, drei Teile P9.«
– »Unsinn.« – »Tad junior, hör mir zu.« – »In einem anderen Leben war ich Tajuna.« – »In diesem Leben.«
– »Jetzt bin ich Lance, eine geläuterte Seele auf dem Weg zur Erlösung.« – »Nein, du bist nur ein Schauspieler.« – »Ich kann dir versichern, es sprich einiges für die Metapher, daß das Leben eine Bühne ist, aber …« – »Das war keine Metapher! Du bist ein Schauspieler, und das bedeutet, du kannst kein Mensch sein; alle Schauspieler sind Androiden.« – »Eine eher grobschlächtige Interpretation. Ich hatte gehofft, dir eine größere Wahrheit eröffnen zu können.« – »Und ich wollte dir von Armstrong erzählen. Dort liegt unsere einzige Möglichkeit zur Flucht.« – »Armstrong? Armstrong? Das ist eine Illusion, wie alles droben. Hier in den Tiefen, wo nur die Tapfersten und Weisesten es finden können, hier ist das einzige Tor zu den höheren Sphären verborgen … das heilige Fenster.« – »Lieber Chef! Gibt es keine Möglichkeit, zu Dir vorzudringen? Denk an unser Kind. Wenn dieses metaphysische Gerangel noch lange dauert, wird es hier unten geboren werden!«
Und so ging es weiter und weiter, bis eine Datapille in seinen Spender fiel und ich sie schnappte und zwischen den Fingern zerdrückte. »Warum hast du das getan?« schrie er auf. »Du bist verrückt! Ich bin verloren ohne meinen Initiator.« – »Gut, dann werden dir endlich die Augen geöffnet«, gab ich zurück und fügte hinzu, daß er jetzt gezwungen war, zu improvisieren und seine Sinne beisammenzuhalten, denn nur mit wachem Verstand konnte man das grandiose Blendwerk als das erkennen, was es war. Darauf erhielt ich zur Antwort, daß er sich eben um so mehr der Führung der Gebieter anvertrauen werde.
Plötzlich bekam ich Angst, daß er so vertrauensselig und dumm sein könnte, sich den Gebietern zu offenbaren. Es war meine Absicht gewesen, ihn aus seiner Scheinwelt herauszureißen, keinesfalls wollte ich schuld daran sein, daß er zur Rehabilitation geschickt wurde, also folgte ich ihm zu den Fahrstühlen, flehte ihn an, in jedem Fall seine Meinung für sich zu behalten, und sagte, man kann nicht mit den Gebietern sprechen, sie sind alles andere als verständnisvoll. »Wieder falsch«, antwortete er, als die Türen sich öffneten. »Sie sind unsere besten Freunde und Führer von der anderen Seite. Es gibt keinen Grund, sie zu fürchten.« Er trat in die Kabine. »Tad! Tad junior!« rief ich, während der Fahrstuhl zu den Bühnen hinaufstieg. Keine Antwort.
Wie bereute ich meine vorschnelle Tat, als die Holos vorübergingen und er nicht zurückkehrte; wie durchwanderte ich in den Zwischenphasen ruhelos die Stallungen, überwältigt von der Sorge einer Mutter und dem Kummer der Geliebten, und wie schalt ich mich wegen des Unheils, das ich aller Wahrscheinlichkeit nach über ihn gebracht hatte. Denn diesmal trug ich die Schuld an seinem Verschwinden, nicht die launischen Strömungen des Pazifik.
Was um alles in der Welt hatte mich veranlaßt, ihn in solche Gefahr zu bringen? Nur um das letzte Wort in einem metaphysischen Streitgespräch zu haben? Wie erbärmlich, dumm und eitel, daß ich, die ich nur sein Bestes im Sinn hatte (und sein Kind im Bauch), zum Instrument seines Untergangs werden konnte. Welche Torheit! Meine Beförderung zur Nebendarstellerin und die neue Doppelbettmatratze waren kein Trost, sie verliehen meinen Schuldgefühlen nur zusätzliche Schärfe. Nichts konnte sie lindern als nur seine unversehrte Rückkehr, auf die ich immer noch hoffte. Ich träumte davon, wie er mich im Bett überraschte, mich umarmte und über meine Befürchtungen lachte und erklärte, daß nur eine besonders lange und abenteuerliche Reinkarnation ihn so lange von mir ferngehalten hatte.
Eines Tages, nach einem besonders lebhaften Tagtraum, der mir prophetisch zu sein schien, lief ich die Treppe hinauf, nur um seine Kabine von einer neuen Einheit besetzt zu finden, was für meinen Enthusiasmus eine grausame Enttäuschung bedeutete. In verzweifelter Hast durchsuchte ich die anderen Kabinen, ohne ihn zu finden, und folgte dann dem Impuls, der Vollständigkeit halber auch in den unteren Stockwerken nachzuforschen. Schließlich entdeckte ich ihn deaktiviert zwischen den Statisten.
Ich war so bestürzt und fassungslos, daß ich mich kaum überwinden konnte, wenigstens den Versuch zu machen, ihn aufzuwecken. Zuerst glaubte ich an eine Sinnestäuschung, denn selbst an einem Ort wie Hollymoon war es schwer vorstellbar, daß jemandes Stern so schnell so tief sinken konnte, aber dort lag er, gealtert und traurig, zweifellos von seinem verhängnisvollen Zusammentreffen mit den Gebietern (den Regisseuren und Produzenten), in die er so viel bedingungsloses Vertrauen gesetzt hatte. Es zeigten sich sogar Spuren von Grau an seinen Schläfen.* Ich bemühte mich, ihn aus der Stasis zu wecken, umarmte und küßte ihn, flehte ihn an, mit mir zu sprechen, aber ohne Erfolg. Man hatte meinen Sohn, Geliebten und Kollegen auf einen Schatten seines früheren Selbst reduziert, zu einer perfekt funktionierenden Einheit, gesteuert von einem neu implantierten Internen Zensor. Als ich an seiner Brust weinend den Verlust betrauerte, fühlte ich, daß ich es nicht mehr ertragen konnte und daß es an der Zeit war, meinem Leben ein Ende zu setzen. Mit diesem Entschluß stieg ich nach oben, denn ich hatte vor, mich den Treppenschacht hinunterzustürzen, der hoch genug war, um auch einem P9 verderblich zu sein, doch vor dem entscheidenden Schritt hielt ich inne, denn ich mußte an unser ungeborenes Kind denken, das an meinem Verbrechen vollkommen unschuldig war und mit seinem Tod das Unrecht noch vergrößern würde. »Sei standhaft!« Die Worte des Chefs fielen mir wieder ein, als ich die Hand auf meinen Bauch legte. »Sei standhaft!« Ja – doch um des Kindes willen, nicht um meinetwillen, dachte ich und erneuerte meinen Entschluß zu fliehen, wenn dem Gedanken auch Trauer und Melancholie anhaftete und keine Hoffnung auf wirkliche Befreiung.
Nachdem ich mich nun entschieden hatte, wartete ich auf mein nächstes Engagement in Armstrong, doch meine Verpflichtungen in den nächsten Wochen beschränkten sich auf die Studios, und in demselben Maß, wie meine Rollen an Umfang und Gewicht zunahmen, wuchs auch mein Bauch, bis schließlich mein früherer Zuhälter, Harry Boffo, Vizepräsident Intpl. Pro., darauf aufmerksam wurde. (Den Posten verdankte er seinen Bemühungen in der Fracass-Sache.) Dieser Befehlsgewaltige verlangte mich zu sehen, und drei IBMs flogen mit mir zu dem Verwaltungsgebäude in der City von Hollymoon. Bei dem Termin in seinem luxuriösen Büro stellte ich mich unwissend und ließ mit keinem Wort verlauten, daß ich ihn wiedererkannte. Er war schockiert über meinen Zustand, sagte er, und verärgert, wie auch die beiden anderen Top-Manager, die sich zu der Besprechung eingefunden hatten. Man hatte Großes vor mit Candida Dolly – ein echtes Zugpferd, keine Frage – und beabsichtigte, diesen unziemlichen und ungelegenen Störfaktor – Harry zählte an den Fingern ein halbes Dutzend Verdächtige aus den Besetzungsbüros auf – so schnell und so diskret wie möglich auszumerzen, damit der von der Werbeabteilung bis ins kleinste vorausgeplante Verlauf meiner Karriere nicht ins Stocken geriet. Die Szene hatte eine schaurige Ähnlichkeit mit meiner Entlarvung im Kloster damals, nur machte man hier noch weniger Federlesens.
»Die Benway-Klinik hat sich in solchen Fällen als sehr zuverlässig erwiesen«, meldete sich schüchtern einer der Manager zu Wort, ein Vorschlag, der weises Kopfnicken bei den übrigen Anwesenden auslöste. Doch für den endgültigen Spruch wandte man sich an den IBM-Finanzberater, der bis dahin schweigend in einer Ecke gesessen hatte. Er äußerte sich dahingehend, daß nur mit geringfügigem Aufwand die Bücher vorteilhaft zu frisieren seien, wenn man den ›Mutanten‹ zu Forschungszwecken der Klinik überließ. Die dadurch bewirkte Steuerabschreibung reichte aus, um alle Verluste durch Verzögerungen im Terminplan der Produktionsprojekte aufzufangen.
Damit war das Problem zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst, und ich wurde von den IBMs aus dem Büro gescheucht, doch statt daß wir zu unserem Aero auf dem Dachparkplatz zurückkehrten, fuhren wir mit dem Lift zur Eingangshalle hinunter. Die Klinik lag ganz in der Nähe, deshalb sollten wir die Straßenbahn nehmen. Auf dem Bürgersteig wimmelte es von Touristen, die der berühmten Promenade der Stars vor dem Gebäude ihren obligatorischen Besuch abstatteten, und da die meisten von ihnen den Fußabdrücken ihrer Idole mehr Aufmerksamkeit schenkten als ihrer Umgebung, kam es bereits nach wenigen Schritten zu einem Zusammenstoß unserer Gruppe mit einigen dieser Schaulustigen. Einer von ihnen nahm es übel, daß der IBM, den er angerempelt hatte, nicht zur Seite getreten war – wie es sich gehörte für einen Androiden –, und überschüttete uns mit Schimpfworten. Es entstand ein aufgeregtes Getümmel, als seine Reisegefährten herbeieilten, um die Fahne der Spezies hochzuhalten und ihm Schützenhilfe zu leisten. Da meine Eskorte alle Hände voll zu tun hatte, entfernte ich mich unauffällig und gesellte mich zu einer Gruppe von Touristen, die einen Reisebus bestiegen. Kaum hatte ich einen Sitzplatz gefunden, als der Aero abhob und über das Handgemenge hinweg zur Außenkuppel und in Richtung Westen flog, da die Insassen die Attraktionen Hollymoons bereits abgegrast hatten.
Ich machte mich so klein wie möglich, drückte das Gesicht ans Fenster und gab vor, an der Aussicht interessiert zu sein. Nachdem wir die Hollymoonkuppel verlassen hatten, erklärte der Reiseleiter über Lautsprecher, daß wir gleich die Studios und die stillgelegten Minenanlagen passieren würden, über das berühmte Kraterrestaurant hinwegfliegen (wo all die wichtigen Verträge abgeschlossen werden) und anschließend in Armstrong landen würden, dem Glücksspiel- und Unterhaltungsparadies des gesamten bekannten Sonnensystems. Unnötig zu sagen, daß es ein komisches Gefühl war, auf dieselbe Kuppel hinabzuschauen, in der ich noch vor kurzem gefangen gewesen war. Ich empfand es als große Erleichterung, als dieser Komplex und die anderen auf dieser trostlosen Ebene weit hinter uns lagen. Wir ordneten uns in den Verkehrsstrom der Einflugschneise über Armstrongs Biokuppel ein und glitten in gemächlichem Landeanflug über die Hotels und Kasinos an dem grandiosen, in farbigem Lichterglanz erstrahlenden Oppurtunity Way hinweg zum Apollo Park. Dort umkreisten wir den Obelisken, damit jeder seine Photos machen konnte, und landeten, weil ein Besuch der Apollolandungshalle und des Gedenkmuseums auf dem Plan standen.
Unser Führer pries die historische Bedeutung des Ortes, bezeichnete ihn als den Plymouth Rock der Raumfahrt und gab uns eine kurze Zusammenfassung der glorreichen amerikanischen Vergangenheit, doch ich war zu beunruhigt wegen meiner Situation, um mich darauf konzentrieren zu können. Früher oder später würde jemand merken, daß ich nicht zu der Gruppe gehörte, und mir peinliche Fragen stellen. Doch ich fühlte mich sicher in der Halle: Es war dunkel und voll, und es gab viele Vitrinen und Nischen und gewundene Gänge, in denen man sich verstecken konnte. Ich beschloß, auszuharren. Auch wenn die Studio-IBMs mich hier aufspürten, gelang es mir vielleicht, ihnen zu entkommen. Also blieb ich bis zur Schließung und hielt mich die meiste Zeit im Hauptsaal auf, mit dem von Glaswänden umgebenen 12 km2 großen Landeplatz. Stundenlang kreiste ich über der amerikanischen Fahne, der abgestoßenen Bremsstufe und anderem NASA-Schrott, den man genauso angeordnet hatte, wie er von den Astronauten zurückgelassen worden war. Ich heuchelte sogar Rührung und tiefe Ergriffenheit vor den schwachen, aber erkennbaren Abdrücken ihrer Stiefel im Sand, während mich in Wahrheit die Sorge quälte, was ich als nächstes tun sollte, denn wieder einmal war ich eine Heimatlose, ohne einen Freund, bei dem ich unterschlüpfen konnte, und ohne einen Mel in der Tasche. Meine Lage war sogar noch schlimmer als bei meinem Schiffbruch an der Küste der Los Angeles-Insel und erheblich schlimmer als bei meiner Ankunft in Malibu, weil ich nicht einmal auf die Prostitution als Möglichkeit zum Gelderwerb zurückgreifen konnte. Das war nämlich mein Plan gewesen, als ich anfing, an Flucht zu denken, doch meine Schwangerschaft war viel zu weit fortgeschritten, um mich vor Armstrongs Casino La Lune in meinem alten Beruf zu versuchen. Also saß ich wirklich in der Klemme. »Ein kleiner Schritt für mich …« leierte das Endlosband mit der Aufnahme von Neil Armstrongs Griff nach der Unsterblichkeit. Nach einer Weile hüllte mich die Stimme in ein trügerisches Gefühl der Geborgenheit, das der Klang der Schlußglocke grausam zerstörte.
Ich suchte Zuflucht in der Damentoilette, nicht nur, weil sie ein günstiges Versteck war, wo ich die Nacht zu verbringen hoffte, sondern auch, weil ich mußte, denn zu meiner Verlegenheit schien mir vor Schreck bei dem schrillen Glockenton ein Malheur passiert zu sein. Bei genauerer Überprüfung in der Geborgenheit der Kabine entdeckte ich allerdings, daß es sich um ein Malheur anderer Art handelte. Die Fruchtblase war geplatzt, und die Geburt hatte begonnen, was mir sogleich von einer heftigen Wehe zweifelsfrei bestätigt wurde. »Gütiger Chef, muß ich mein Kind hier bekommen?« fragte ich, nachdem der Schmerz abgeklungen war. Dann krümmte ich mich unter der nächsten Wehe über das in den Boden eingelassene Toilettenbecken. »Besser hier als in der Benway-Klinik«, beantwortete ich meine eigene Frage. Doch wenige Augenblicke später wurde ich von einem Museumswächter aufgespürt, der mich zum Ausgang wies, durch den eben die letzten Besucher die Anlage verließen. Was nun? Mußte ich mich unter irgendeinen Busch hocken, um mein Kind zur Welt zu bringen?